Endlich ist es wieder so weit! Der ganz große Fußball kommt nach Deutschland. Aber was bedeutet das für berufstätige Fußballfans und ihre Arbeitgeber?
Das letzte Mal war Deutschland vor fast 18 Jahren alleiniger Gastgeber eines großen Fußball-Turniers – bei der Fußball-WM im Jahr 2006. Bald ist es wieder so weit – in nur vier Wochen geht die EM los! Jetzt schon rüsten Supermärkte ihr Sortiment auf, Kneipen und Biergärten kündigen Public Viewing Events an und kleine und große Fußballfans sind voller Vorfreude. Zeitverschiebung und Fußballspiele in der Nacht – wie bei vergangenen Weltmeisterschaften – bereiten dieses Mal keine Probleme. Allerdings findet eine Reihe von Spielen unter der Woche nachmittags um 15 Uhr statt. Dies ist zumindest für erwerbstätige Fußballfans ungünstig.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass in der Praxis selten handfeste arbeitsrechtliche Probleme auftreten, da die meisten Arbeitgeber die Fußballbegeisterung ihrer Mitarbeiter teilen. Hinzu kommt, dass spätestens seit Beginn der Corona-Krise zahllose Arbeitsverhältnis zeitlich wie räumlich flexibilisiert wurden, was Fußballbegeisterten das Leben erleichtert. Für den Fall, dass es dann aber doch zu Konflikten kommt und Grenzen aufgezeigt werden müssen, haben wir einige wesentliche arbeitsrechtliche Fragestellungen rund um die EM zusammengestellt.
Muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer – gegebenenfalls sogar kurzfristig – für den Zeitraum der Fußball-EM Urlaub gewähren?
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber* dem Urlaubsantrag seines Arbeitnehmers entsprechen. Allerdings können betriebliche Belange einem Urlaub zur Fußball-EM entgegenstehen.
Sind durch die Abwesenheit eines Arbeitnehmers erhebliche Beeinträchtigungen im Betriebsablauf zu erwarten, kann der Arbeitgeber den Urlaub verweigern. Das dürfte allerdings in der Regel nur bei kurzfristigen Anfragen ein Problem sein. Beantragt der Arbeitnehmer lange im Voraus seinen Urlaub, muss das Unternehmen grundsätzlich für einen Ersatz sorgen.
Tragen mehrere Mitarbeiter denselben Urlaubswunsch vor, so ist vom Arbeitgeber eine Abwägung unter sozialen Gesichtspunkten vorzunehmen. Hat der Arbeitgeber bereits einem seiner Mitarbeiter Urlaub in einem bestimmten Zeitraum gewährt, so kann er dies den anderen Arbeitnehmern entgegenhalten.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber seinem Mitarbeiter auch an Einzeltagen Urlaub gewähren muss. Schließlich interessieren sich viele Zuschauer lediglich für Spiele ihrer Heimatnation, sodass sie nicht für den ganzen Zeitraum der Fußball-EM Urlaub benötigen. Hier gilt – zumindest für den gesetzlichen Urlaubsanspruch – der Grundsatz des Vorrangs des ungeteilten Urlaubs. Dies gibt dem Arbeitnehmer das Recht, den Urlaub an aufeinanderfolgenden Tagen gewährt zu bekommen. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass der Arbeitgeber vereinzelte Urlaubstage ablehnen kann.
Kann ein Arbeitnehmer, der in Schichtarbeit tätig ist, verlangen, in eine andere Schicht umgesetzt zu werden, um ein spezielles Fußballspiel verfolgen zu können?
Die Einteilung der Mitarbeiter in Schichten unterliegt dem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht. Der Arbeitgeber hat dabei nach „billigem Ermessen“ zu entscheiden. Die Hobbys seiner Mitarbeiter muss er nicht zwangsläufig berücksichtigen.
Ist also ein fußballbegeisterter Mitarbeiter einmal in eine Schicht eingeteilt worden, so ist dies für ihn verbindlich.
Darf der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz früher verlassen, um ein Spiel sehen zu können? Was passiert, wenn der Arbeitnehmer aufgrund ausgiebiger Siegesfeiern wiederholt morgens zu spät zur Arbeit kommt?
Auch wenn beide Fragen auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhen, unterscheidet sich ihre Beantwortung im Endeffekt nicht. Soweit arbeitsvertraglich oder durch kollektive Regelungen feste Arbeitszeiten vereinbart wurden, gilt bei verfrühtem Gehen oder verspätetem Kommen Folgendes:
Wer die zugesagte Leistung nicht – wie vereinbart – erbringt, verletzt seine vertraglichen Pflichten. Es bedarf also einer vorherigen Absprache mit dem Arbeitgeber. Andernfalls kann bei Fernbleiben von der Arbeit innerhalb der Arbeitszeit abgemahnt und im Wiederholungsfall auch gekündigt werden.
Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer natürlich keinen Vergütungsanspruch für diese Zeit. Das gilt auch, wenn der Grund der Verspätung des Mitarbeiters nicht die vorabendliche Feier, sondern der Verkehr in der Stadt ist. Liegt beispielsweise eine abgesperrte Fanmeile zum „Public Viewing“ auf der Fahrtstrecke und löst diese ein Verkehrschaos aus, trägt der Arbeitnehmer das sogenannte „Wegerisiko“.
Anders verhält es sich, wenn flexible Arbeitszeiten vereinbart wurden. Dann darf der Mitarbeiter außerhalb der Kernarbeitszeit grundsätzlich frei über seine Arbeitszeiten disponieren. Aber auch hier kann es Ausnahmen geben. In der Regel verlangen flexible Arbeitszeitmodelle, dass gewährleistet sein muss, dass nicht eine ganze Abteilung bereits ab 15 Uhr unbesetzt ist.
Erhält der Mitarbeiter Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn er aufgrund eines „Katers“ nicht zur Arbeit kommen kann, oder wenn er sich im Rahmen einer Fußball-EM-Feierlichkeit verletzt hat?
Den Arbeitgeber trifft nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) eine Pflicht zur Zahlung der Vergütung im Krankheitsfall, solange die Krankheit unverschuldet ist. Ein Verschulden liegt beispielsweise dann vor, wenn der Arbeitnehmer eine Schlägerei provoziert, bei der er verletzt und infolgedessen arbeitsunfähig wird.
Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer einen Autounfall verursacht und Alkoholeinfluss hauptursächlich dafür war. Kann ein Mitarbeiter wegen zu hohen Alkoholkonsums am Vorabend nicht zur Arbeit erscheinen – sei es, dass er morgens noch stark alkoholisiert ist, sei es, dass er mit „Kater“ das Bett hütet – hat er dies ebenfalls verschuldet und dürfte aus der Entgeltfortzahlung herausfallen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Alkoholmissbrauch nicht pathologischer Natur ist.
Allerdings ist für den Arbeitgeber in der Praxis der Nachweis schwierig, weil kaum ein Mitarbeiter ein eigenes Verschulden zugeben dürfte.
Welche Handhabe hat der Arbeitgeber, wenn der Mitarbeiter eine Krankheit ankündigt?
Will der Mitarbeiter nach einer Fußballnacht ausschlafen oder sich nicht genehmigten Urlaub über Krankheitstage „reinholen“ und kündigt er dies vorher am Arbeitsplatz an, so kann der Arbeitgeber fristlos kündigen, wenn er nachweisen kann, dass der Arbeitnehmer tatsächlich nicht krank war. Eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entfällt selbstverständlich.
Dürfen Arbeitnehmer während der Arbeitszeit ein Fußballspiel im Radio oder gar im Fernsehen verfolgen?
Viele Unternehmen organisieren während der Fußball-EM einen Fernseher und bieten den Mitarbeitern an, gemeinschaftlich Fußball zu sehen. Auch gibt es zahlreiche Betriebe, in denen Radiohören sogar außerhalb von EM-Zeiten üblich ist.
Ist beides nicht der Fall, wird gegen Radiohören oder auch Fernsehen am Arbeitsplatz während der Fußball-EM in der Regel nichts einzuwenden sein, soweit die Art der Arbeit bzw. Tätigkeit oder eventueller Kundenkontakt dies zulässt und die Kollegen sich nicht gestört fühlen. Ein Recht darauf besteht jedoch nicht.
Im Zweifel sollte – zumindest im Hinblick auf Fernsehübertragungen – geregelt werden, dass diese Zeit nicht als Arbeitszeit gewertet wird und dass sich Arbeitnehmer dementsprechend vorher „ausstempeln″ und die fehlende Arbeitszeit vor- oder nacharbeiten müssen.
Können Mitarbeiter die Spiele über Live-Stream oder Liveticker im Internet verfolgen?
Eine weitere Möglichkeit, sich über den aktuellen Spielverlauf auf dem Laufenden zu halten, sind Live-Streams oder -Ticker auf dem Firmen-PC oder -Laptop. Ohne Weiteres dürfen Mitarbeiter diesen Weg aber nicht gehen. Es kommt nämlich darauf an, wie die private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit geregelt ist. Selbst wenn diese grundsätzlich erlaubt ist, ist eine ausschweifende Nutzung davon in aller Regel nicht umfasst. Soweit ein ganzes Fußballspiel per Live-Stream verfolgt wird, ist von einem solch exzessiven Gebrauch auszugehen. Verwendet der Arbeitnehmer trotz eines privaten Nutzungsverbots das Internet in dieser Form, kann dies ein Grund für eine Abmahnung oder gar eine Kündigung sein.
Nutzt der Mitarbeiter sein privates Handy zu diesem Zweck, hängt die Zulässigkeit zunächst davon ab, ob ein generelles Nutzungsverbot während der Arbeitszeit besteht. Ist dies nicht der Fall, dürfte auch hier der Maßstab sein, dass die eigentliche Arbeit und/oder der Kontakt zu Kunden nicht darunter leiden. Sehr spannend in diesem Zusammenhang: Das BAG hat am 17. Oktober 2023 (Az. 1 ABR 24/22) entschieden, dass das Verbot der privaten Handynutzung am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit auch ohne Zustimmung des Betriebsrats eingeführt werden kann.
Darf der Arbeitnehmer über das betriebsinterne E‑Mail-System Tickets für EM-Spiele oder für das Public Viewing anbieten/erwerben?
Wie der Gebrauch des Live-Streams/-Tickers stellt der An-/Verkauf von Tickets eine private Nutzung des Systems dar. Auch hier kommt es also wieder darauf an, wie die private Nutzung des firmeneigenen Internets im Unternehmen geregelt ist.
Sind Tippgemeinschaften zur Fußball-EM im Büro statthaft?
Finden die Wetten in der Mittagspause und/oder außerhalb der Arbeitszeit statt und werden die Mitarbeiter nicht von der Arbeit abgehalten, dürfte in der Regel nichts gegen derartige Tippgemeinschaften sprechen. Nicht selten gestatten Arbeitgeber derartige Aktivitäten sogar ausdrücklich. Dann ist nichts gegen die Nutzung des Firmenaccounts und das Tippen während der Arbeitszeit einzuwenden.
Darf Alkohol am Arbeitsplatz konsumiert werden? Was kann der Arbeitgeber tun, wenn der Mitarbeiter noch Restalkohol vom Vortag im Blut hat? Wie verhält es sich mit Cannabis-Konsum?
Soweit nicht die vertragliche Arbeitsleistung absolute Abstinenz verlangt (zum Beispiel bei Busfahrern, Piloten, Maschinenführern), darf der Arbeitnehmer grundsätzlich auch bei der Arbeit Alkohol konsumieren. Er ist aber verpflichtet, seine Arbeitsfähigkeit durch den Alkoholgenuss nicht zu beeinträchtigen. Dem Arbeitgeber steht es allerdings frei, per Direktionsrecht oder durch Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung ein Alkoholverbot am Arbeitsplatz auszusprechen.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Konsum von Cannabis. Maßgeblich ist auch hier, welche Tätigkeiten der Arbeitnehmer ausübt, ob seine Arbeitsleistung durch einen Joint tatsächlich beeinträchtigt wird und welche Regeln das Unternehmen zum Konsum von Cannabis aufgestellt hat.
Ist es dem Mitarbeiter gestattet, kostümiert ins Büro zu kommen sowie Büro und/oder Dienstwagen mit Flaggen zu dekorieren?
Eingefleischte Fußballfans tragen während der EM-Zeit gerne ein Fußballtrikot, eine Deutschlandgirlande und andere Accessoires. Soweit die dienstlichen und betrieblichen Belange hierdurch nicht beeinträchtigt werden, bestehen dagegen keine Bedenken.
Gibt es aber Gründe, die gegen eine Kostümierung sprechen, darf der Mitarbeiter bei einem Verstoß gegen eine Kleiderordnung abgemahnt werden. So beispielsweise bei Kundenkontakt, oder wenn in dem Unternehmen gar ein Dresscode oder Arbeitskleidung vorgegeben ist.
Auch gegen die Dekoration des Büros oder des Dienstwagens dürfte grundsätzlich nichts sprechen, soweit nicht interne Vorschriften/Vereinbarungen oder Weisungen des Arbeitgebers etwas anderes regeln oder Kollegen, mit denen das Büro geteilt wird, Anstoß daran nehmen. In Räumlichkeiten, in denen Kundenkontakt besteht, und an Fahrzeugen, mit denen Kunden aufgesucht werden, hat eine entsprechende Dekoration im Zweifel zu unterbleiben.
Wann bestehen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats?
Im Hinblick auf die zuvor angesprochenen Fragen steht dem Betriebsrat in dreierlei Hinsicht ein Mitbestimmungsrecht zu:
- § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG regelt Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf die Ordnung des Betriebs. Darunter fallen im Zusammenhang mit der EM insbesondere Fragen zur Radio-, Fernseh- und Internetnutzung im Unternehmen sowie zu Alkohol/Drogen-Policies.
- Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ist der Betriebsrat bei der Lage der Arbeitszeit zu beteiligen. Das gilt insbesondere dann, wenn wegen der Fußball-EM die Arbeitszeiten oder die Schichten geändert werden.
- Nach § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG darf der Betriebsrat bei Urlaubsfragen mitbestimmen. Dies beinhaltet auch die Festsetzung des Urlaubs für einzelne Mitarbeiter im Streitfalle.
- § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei allen IT-Systemen, also auch soweit es um die Nutzung des Internets geht.
Um Streitigkeiten zu vermeiden, bietet es sich an, bereits im Vorfeld der Fußball-EM in Abstimmung mit dem Betriebsrat (Sonder-)Regelungen für diese Zeit zu treffen. Das gilt insbesondere, wenn der Arbeitgeber aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre konkrete Befürchtungen hat, dass es in diesem Zusammenhang zu Konflikten kommen kann. So können Unternehmen – wie zuvor beschrieben – einen Fernseher stellen, der es den Mitarbeitern ermöglicht, gemeinsam EM-Spiele zu verfolgen.
Mit dem Betriebsrat sollte dann aber klar geregelt sein, dass diese Zeit nicht als Arbeitszeit gewertet wird und dass sich die Arbeitnehmer dementsprechend vorher „ausstempeln“. Denkbar wäre auch, großzügigere Regelungen im Hinblick auf die erforderliche Besetzung einzelner Abteilungen/Arbeitsplätze zu treffen – denn zumindest während der Spiele der deutschen Nationalelf wird sich die anfallende Arbeit in vielen Unternehmen reduzieren.
* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.