Höchstinstanzliche Entscheidungen zu Kündigungen von Mitarbeitern wegen Haftstrafen findet man nur alle paar Jahre. Grundsätzlich vertreten die Richter den Standpunkt, dass es von Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen abhängt, inwieweit durch die haftbedingte Nichterfüllung der Arbeitspflicht eine Kündigung in Betracht kommt. Jüngst hatte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage zu befassen, ob eine Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung bereits im Falle einer Untersuchungshaft gerechtfertigt sein kann.
Im Ergebnis hat der 2. Senat diese Frage bejaht und eine ordentliche Kündigung für wirksam erklärt. Es ging um den Fall eines seit 1997 in einem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmers, der bereits im September 2008 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Am 17. September 2010 wurde der Mitarbeiter erneut wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln festgenommen. Die Polizei hatte 18 Kilogramm Cannabispflanzen bei ihm gefunden. Er kam daraufhin direkt in Untersuchungshaft. Das Unternehmen wurde über diesen Umstand am 20. September 2010 informiert. Der Strafverteidiger des Mitarbeiters teilte auf Nachfrage des Arbeitgebers mit, dass ein kurzfristiges Ende der Inhaftierung nicht abzusehen sei.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2010 kündigte das Unternehmen das Arbeitsverhältnis daraufhin außerordentlich. Am 15. Oktober 2010 erfolgte eine hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin. Gegen beide Kündigungen hat der Mitarbeiter fristgerecht Klage erhoben. Am 17. Februar 2011 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.
Prognose über die Dauer der Abwesenheit entscheidend
Die Richter hielten die außerordentliche Kündigung für unwirksam, die hilfsweise erklärte personenbedingte ordentliche Kündigung hingegen für wirksam. Voraussetzung einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung sei, dass der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein werde, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Maßgebend für die vom Arbeitgeber insoweit anzustellende Prognose seien die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Grundlage für die Prognose müsse nicht zwingend eine bereits erfolgte – rechtskräftige – strafgerichtliche Verurteilung sein. Die Erwartung, der Arbeitnehmer werde für längere Zeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert sein, könne auch im Fall der Untersuchungshaft berechtigt sein. Dann komme es darauf an, ob die der vorläufigen Inhaftierung zugrunde liegenden Umstände bei objektiver Betrachtung mit hinreichender Sicherheit eine solche Prognose rechtfertigen.
Da ohne rechtskräftige Verurteilung nicht auszuschließen sei, dass sich die Annahme als unzutreffend erweise, müsse der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung jedoch alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.
Einem Arbeitgeber sei es dabei grundsätzlich zuzumuten, für die Zeit des haftbedingten Arbeitsausfalls Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft freizuhalten. Sei jedoch im Kündigungszeitpunkt mit einer mehrjährigen haftbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers zu rechnen, könne dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich vorläufige Maßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten.
Von einer solchen Situation ging das BAG im vorliegenden Fall aus. Im Zeitpunkt der Kündigung habe das Unternehmen mit hoher Gewissheit damit rechnen müssen, dass der Mitarbeiter für mehrere Jahre an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert sein werde. (BAG vom 23. Mai 2013 – 2 AZR 120/12)