Der Referentenentwurf zur Regulierung des Fremdpersonaleinsatzes hält zahlreiche Änderungen für das AÜG bereit. Wir zeigen die wesentlichen Punkte auf.
Die „GroKo″ hat bereits zahlreiche im Koalitionsvertrag vorgesehene arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Großprojekte umgesetzt, z.B. die Rente mit 63, den gesetzlichen Mindestlohn oder das Tarifeinheitsgesetz – einige würden wohl sagen, eher schlecht als recht.
Auch der Einsatz von Werkverträgen und die Arbeitnehmerüberlassung sollen nach dem Willen von „Schwarz-Rot″ wieder stärker gesetzlich reguliert werden – so steht es zumindest im Koalitionsvertrag. Der Gesetzesentwurf ließ aber auf sich warten – bis gestern.
Inzwischen liegt ein Referentenentwurf aus dem BMAS vor, der sich dieser letzten noch offenen arbeitsrechtlichen „Baustelle″ der GroKo annehmen soll. Nachfolgend sollen überblicksartig die wesentlichen Änderungen im AÜG dargestellt werden:
Überlassung nur bei Arbeitsverhältnis
Die Überlassung soll nur zulässig sein, wenn zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht.
Diese anscheinend nur lapidare, weil an sich selbstverständliche Formulierung hat es tatsächlich in sich. Zunächst wird die bislang insbesondere von den Erlaubnisbehörden vertretene Ansicht, dass eine Kettenüberlassung unzulässig sein soll, gesetzlich festgeschrieben. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist bußgeldbewehrt und kann zudem zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Einsatzunternehmen führen, wenn z.B. die Höchstüberlassungsdauer überschritten wird. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sich ein Verbot der Kettenüberlassung in keinem Wort im Koalitionsvertrag wiederfindet.
Offenlegungspflichten im Vertrag
Die Überlassung von Arbeitnehmern ist in dem zwischen dem Personaldienstleister und dem Kunden vereinbarten Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen. Vor der Überlassung ist die Person des Zeitarbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren. Ergänzt wird diese Offenlegungspflicht durch eine weitere Verpflichtung des Personaldienstleisters, dem Zeitarbeitnehmer vor der Überlassung jeweils darüber zu informieren, dass er bei dem Dritten als Zeitarbeitnehmer tätig wird.
Mit dieser Regelung ist beabsichtigt, der sog. Fallschirmlösung einen Riegel vorzuschieben. (Legale) Arbeitnehmerüberlassung soll nur vorliegen, wenn sich die beteiligten Parteien darüber einig sind und den dazu abgeschlossenen Vertrag auch tatsächlich so bezeichnen. Wird gegen diese Offenlegungspflicht verstoßen, sind die Arbeitsverträge zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer unwirksam; stattdessen soll ein Arbeitsverhältnis mit dem Kunden fingiert werden.
Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate beschränkt – bei personenbezogener Betrachtung
Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten mit einer Öffnungsklausel zugunsten eines Tarifvertrags der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder einer aufgrund eines solchen Tarifvertrages geschlossenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung.
Im Koalitionsvertrag ist eine grundsätzlich auf 18 Monate begrenzte Höchstüberlassungsdauer vereinbart, so dass nicht überraschend ist, dass sich diese „Zahl″ im Gesetzesentwurf wiederfindet. Es ist zwar eine Öffnungsklausel für Tarifverträge und Betriebs-/Dienstvereinbarungen vorgesehen. Deren Anwendung ist jedoch in zweierlei Hinsicht zu „eng″ geraten: zum einen soll diese nur auf tarifgebundene Unternehmen beschränkt sein, zum anderen kommen nur Tarifverträge der Einsatzbranche, nicht aber der Zeitarbeit als „öffnende Elemente″ in Betracht.
Hier gilt es nachzubessern, dass auch die Tarifverträge der Zeitarbeit erfasst werden. Erfreulich ist hingegen, dass der Gesetzesentwurf hinsichtlich der Bestimmung der Höchstgrenze auf die Überlassung des jeweils eingesetzten Zeitarbeitnehmers („derselbe″) und nicht allgemein auf den beim Kunden mit einem Zeitarbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz abgestellt. Es hat also eine streng personenbezogene Betrachtung zu erfolgen, die bedingt, dass nach 18 Monaten der betreffende Zeitarbeitnehmer gegen einen anderen ausgetauscht werden kann und die Höchstüberlassungsdauer erneut ausgereizt werden kann.
Fragwürdige Privilegierung der öffentlichen Hand
Privilegierung der Personalgestellung im öffentlichen Dienst von der Anwendung zahlreicher Vorschriften des AÜG.
In § 1 Abs. 3 AÜG ist bislang vorgesehen, dass eine Arbeitnehmerüberlassung insbesondere zwischen Konzernunternehmen u.a. nicht erlaubnispflichtig ist, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird; zudem sind in diesem Fall überhaupt nur einige wenige Vorschriften des AÜG anwendbar.
Der Gesetzgeber erweitert die in § 1 Abs. 3 AÜG vorgesehenen Ausnahmetatbestände auf die öffentliche Hand, indem die Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD zukünftig ebenfalls erlaubnisfrei sein soll, obwohl diese gerade einen dauerhaften Einsatz des gestellten Arbeitnehmers bei dem „Kunden″ vorsieht. Die Erweiterung der Erlaubnisfreiheit und die damit einhergehende Privilegierung der öffentlichen Hand ist im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen und ist auch mit dem gesetzgeberischen Ansinnen, eine Überlassung nur vorübergehend als statthaft anzusehen, nicht in Einklang zu bringen.
Zwingende Geltung des equal pay-Grundsatzes
Geltung des equal pay-Grundsatzes, von dem durch einen Tarifvertrag für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Kunden abgewichen werden kann. Der Zeitraum wird auf 12 Monate erhöht, wenn ein im Arbeitsverhältnis geltender Tarifvertrag nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen hinsichtlich des Arbeitsentgelts eine stufenweise Heranführung an den Gleichstellungsgrundsatz herbeiführt.
Die zwingende Wirkung des equal pay-Grundsatzes ist ebenfalls im Koalitionsvertrag vorgesehen und nicht überraschend. Die erweiterte Ausschlussmöglichkeit des equal pay-Grundsatzes auf einen Zeitraum von 12 Monate ist dem Umstand der inzwischen in zahlreichen Wirtschaftszweigen von den Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit abgeschlossenen Branchenzuschlagstarifverträgen geschuldet. Richtigerweise gilt hier ein Vorrang einer tariflichen vor einer gesetzlichen Lösungen; es muss allerdings die Frage gestellt werden, warum dies nach einem Zeitraum von 12 Monaten nach der gesetzgeberischen Vorstellung nicht mehr gelten soll. Zudem dürfte es aus europarechtlich kritisch anzusehen sein, die Geltung des equal pay-Gebotes nach 9 bzw. 12 Monaten zusätzlich mit einer Höchstüberlassungsdauer zu garnieren. Wenn der Zeitarbeitnehmer equal pay erhält, ist er hinsichtlich der Dauer der Überlassung schlichtweg nicht mehr schutzwürdig.
Fiktion eines Arbeitsverhältnisses – aber „Widerspruchsrecht“
Wird ein Arbeitnehmer überlassen, ohne dass der Personaldienstleister über eine Erlaubnis nach § 1 AÜG verfügt, ist der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und auch der Arbeitsvertrag unwirksam; es wird stattdessen ein Arbeitsverhältnis mit dem Kunden fingiert – dies ist insoweit nicht neu.
Es soll jedoch eine Regelung eingefügt werden, nach der keine Unwirksamkeit eintritt, wenn der Zeitarbeitnehmer schriftlich bis zum Ablauf eines Monats nach dem für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt erklärt, dass er am Arbeitsvertrag mit dem Personaldienstleister festhält. Einen vergleichbaren Regelungsmechanismus sieht das Gesetz für den Fall vor, dass gegen die o.g. Offenlegungspflicht oder die zulässige Höchstüberlassungsdauer verstoßen wird.
Insbesondere die Sanktionierung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung durch die Unwirksamkeit der abgeschlossenen Verträge und der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Kunden war auf Grundlage der Ankündigungen im Koalitionsvertrag absehbar. Überraschend ist, dass auch der Verstoß gegen die Höchstüberlassungsdauer mit dem scharfen Schwert der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses belegt werden soll. Abgemildert wird diese Rechtsfolge in sämtlichen Fällen durch eine Art „Widerspruchsrecht″ des Zeitarbeitnehmers.
Zwangssolidarisierung von Zeitarbeitnehmern mit streikender Belegschaft
Der Kunde darf Zeitarbeitnehmer nicht tätig werden lassen, soweit der Einsatzbetrieb unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist.
Laut Gesetzesbegründung gilt dieses Verbot nicht nur für den Einsatz von Streikbrechern, also Zeitarbeitnehmern, die erst nach Beginn des Streiks überlassen werden, um dem Arbeitskampf in seinen nachteiligen Auswirkungen für das betroffene Unternehmen zu begrenzen und die Schlagkraft der streikführenden Gewerkschaft zu reduzieren, sondern auch für bereits vor dem Streik in dem Betrieb eingesetzte Zeitarbeitnehmer.
Damit ist letztlich eine Zwangssolidarisierung von Zeitarbeitnehmern mit einer streikenden Belegschaft verbunden, obwohl ein erkämpfter Tarifvertrag für das mit dem Zeitarbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis in der Regel nicht anwendbar sein wird. Während Stammbeschäftige im Einsatzbetrieb frei wählen können, ob sie sich an einem Arbeitskampf beteiligen oder nicht, ist dies bei einem Zeitarbeitnehmer ausgeschlossen. Ob dies vor dem Hintergrund des erheblichen Eingriffs in die Arbeitskampfparität mit der grundrechtlich geschützten negativen Koalitionsfreiheit vereinbar ist, darf mit einem großen Fragezeichen versehen werden.
Zeitarbeitnehmer zählen bei Schwellenwerten mit
Zeitarbeitnehmer sind zukünftig bei sämtlichen Schwellenwerten des BetrVG (Ausnahme: § 112a BetrVG) und der Unternehmensmitbestimmung (u.a. MitbestG, DrittelbG, EBRG) mitzuzählen.
Es entspricht einem „Trend″ in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, dass Zeitarbeitnehmer „nicht nur wählen, sondern auch zählen sollen″ (u.a. zur Bestimmung der Betriebsgröße oder bei Freistellungen). In diesem Sinne hat die GroKo im Koalitionsvertrag angekündigt, dass Zeitarbeitnehmer bei Schwellenwerten des BetrVG berücksichtigt werden sollen.
Von der Unternehmensmitbestimmung war hingegen keine Rede, so dass der Gesetzesentwurf weit über die im Koalitionsvertrag getroffenen Festlegungen hinausgeht. Zudem geht die Rechtsprechung nicht undifferenziert davon aus, dass Zeitarbeitnehmer immer und unter allen Umständen bei (betriebsverfassungsrechtlichen) Schwellenwerten mitzählen sollen, sondern legt die jeweils betroffene Norm im Einzelfall aus und berücksichtigt nach Maßgabe von Sinn und Zweck, ob es geboten ist, Zeitarbeitnehmer mitzuzählen. Diese differenzierte Betrachtung verwässert der Gesetzesentwurf vollkommen, indem dieser schlichtweg „alles über einen Kamm schert″.
Inkrafttreten
Die gesetzlichen Änderungen sollen zum 01. Januar 2017 in Kraft treten, so dass die Praxis noch hinreichend Zeit haben soll, die bestehenden Verträge und Prozesse an die Änderungen anzupassen. Ausdrücklich klargestellt wird, dass Überlassungszeiten vor dem 01. Januar 2017 auf die künftige Höchstüberlassungsdauer nicht berücksichtigt werden.
Übergangsfristen sind richtig. Zweifelhaft ist aber, ob der 01. Januar 2017 ausreichen wird. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das Gesetzgebungsverfahren noch bis in das Jahr 2016 ziehen wird und für die Praxis durch die Veröffentlichung des Referentenentwurfs keine hinreichende Sicherheit geschaffen wird, was letztlich auf die Unternehmen zukommen wird (ausgehend davon, dass – hoffentlich – noch substantielle Änderungen am Referentenentwurf vorgenommen werden). Zudem hat der Gesetzgeber nur für die Höchstüberlassungsdauer eine Regelung über Vorbeschäftigungszeiten getroffen. Es stellt sich die Frage, warum dies für die relevanten Zeiträume für die zwingende Geltung von equal pay nicht angeordnet wurde. Auch in diesem Zusammenhang ist eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung – analog zur Höchstüberlassungsdauer – erforderlich.
Gesetzesentwurf nicht praxisgerecht
Der Gesetzesentwurf soll nun zunächst in die Ressortabstimmung gehen, bevor das eigentliche Gesetzgebungsverfahren angestoßen wird. Es bleibt zu hoffen, dass das Vorhaben des BMAS bereits vor einer Befassung des Bundestages mit dem Entwurf zumindest auf das zurechtgestutzt wird, was auch aus dem BMAS angekündigt wurde, nämlich dass man sich auf eine wortgetreue Umsetzung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Abreden beschränkt.
Davon ist der vorliegende Referentenentwurf aus dem Hause von Frau Nahles aber noch meilenweit entfernt – möglicherweise auch bewusst kalkulierend frei nach dem Motto: „Wer hoch zielt, schießt weit!″. Arbeitgeberpräsident Kramer fasst zusammen, dass der Gesetzesentwurf „praxisfremd, hochbürokratisch und undurchführbar″ sei – dem ist nichts hinzuzufügen.