Inwiefern sind Suchmaschinenbetreiber für in der Ergebnisliste angezeigte Links verantwortlich? Der EuGH hat mit Urteil vom 13. Mai 2014 (Rechtssache C-131/12) in dieser Frage entschieden: Personen könne unter bestimmten Umständen ein unmittelbarer Löschungsanspruch gegen Suchmaschinenbetreiber zustehen. Suchmaschinenbetreiber müssten in diesem Fall bestimmte Links zu Websites mit personenbezogenen Daten aus der Ergebnisliste entfernen. Ein solches Recht leite sich aus der EU-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG ab.
Das Verfahren
Der Entscheidung liegt die datenschutzrechtliche Beschwerde eines spanischen Staatsbürgers zugrunde. Dieser hatte sich zunächst vor der spanischen Datenschutzagentur (AEPD) dagegen gewehrt, dass in der Ergebnisliste von Google bei der Suche nach seinem Namen Artikel aus einer über 16 Jahre alten spanischen Tageszeitung über die Ankündigung der Pfändung seines Hauses anzeigt wurden.
Die AEPD hatte Ansprüche gegenüber der Tageszeitung mit der Begründung verneint, dass die Berichterstattung rechtmäßig gewesen sei. Demgegenüber gab sie seinen Anträgen gegenüber Google Spain und Google Inc. auf Löschung statt.
Gegen diese Entscheidung wendete sich wiederum Google gerichtlich. Das spanische Gericht legte dem EuGH daraufhin diverse Fragen in diesem Zusammenhang zur Vorabentscheidung vor.
Anwendbarkeit von europäischem Datenschutzrecht
Der EuGH bejaht in seiner Entscheidung zunächst die Anwendbarkeit europäischen Datenschutzrechts. Gemäß der Datenschutzrichtlinie gelte europäisches Datenschutzrecht auch für Unternehmen aus Drittstaaten wie den USA, wenn die Datenverarbeitung „im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung ausgeführt” wird.
Google Spain selbst ist nicht für die eigentliche Datenverarbeitung zuständig, sondern das Mutterunternehmen Google Inc. Nach Auffassung des EuGH soll jedoch für die Anwendbarkeit ausreichen, wenn eine Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat mit dem Verkauf von Werbeflächen der Suchmaschinen und sonstigen Verkaufsleistungen betraut ist.
Verantwortlichkeit von Suchmaschinenbetreibern für Datenverarbeitung
Nach Ansicht des EuGH stellt das automatische Aufspüren von Daten im Internet eine Datenerhebung und weitere Vorgänge mittels Indexierprogrammen (wie etwa das Auslesen, Speichern und Organisieren von Daten oder das Weitergeben der Ergebnisse an Nutzer in Form von Ergebnislisten) eine Datenverarbeitung im Sinne der Datenschutzrichtlinie dar. Dies gelte auch dann, wenn die entsprechenden Informationen so bereits in den Medien veröffentlicht worden wären.
Der Suchmaschinenbetreiber sei für diese auch als „Verantwortlicher″ im Sinne der Richtlinie anzusehen. Zum Schutze des Privatlebens der betroffenen Personen sei er daher grundsätzlich zur Löschung entsprechender Links aus seiner Ergebnisliste verpflichtet.
Zu beachten sei, dass Dritte erst durch Suchmaschinen Einblicke in verschiedenste private Aspekte von Betroffenen verhältnismäßig einfach miteinander verknüpfen könnten. Gesteigert werde die Schwere des Eingriffs noch durch die heutige Bedeutung von Internet und Suchmaschinen und die hieraus folgende weite Verbreitung von Ergebnislisten.
„Recht auf Vergessenwerden″
Die Rechte der Betroffenen seien nach Ansicht des EuGH in einen angemessenen Ausgleich mit den Rechten dritter Internetnutzer zu bringen.
In der Regel würden zwar die Rechte der Betroffenen überwiegen, im Einzelfall sei ein Ausgleich aber abhängig von
- der Art der betroffenen Information,
- deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person, und
- dem Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information (unter anderem abhängig von der Rolle der Person im öffentlichen Leben).
Der EuGH stellt klar, dass ein Anspruch auf Löschung bzw. „auf Vergessen″ von Links in einer Ergebnisliste bestehe, wenn diese mit den Bestimmungen der Datenschutzrichtlinie nicht (mehr) vereinbar seien.
Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der EuGH hierzu ausdrücklich ausführt, dass Daten unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall auch erst später gegen Bestimmungen der Richtlinie verstoßen könnten. So könnten später selbst ursprünglich rechtmäßig verarbeitete sachlich richtige Daten den Zwecken, für die sie ursprünglich verarbeitet worden sind, im Laufe der Zeit nicht (mehr) entsprechen, für diese nicht (mehr) erheblich sein oder über diese hinausgehen.
Des Weiteren führt der EuGH aus, dass die Anträge auf Löschung unmittelbar an den Suchmaschinenbetreiber zu richten seien. Weigert sich dieser, die Anträge zu prüfen und ihnen ggf. nachzukommen, könnte sich der Betroffene an die zuständigen Kontrollstellen oder Gerichte wenden, damit diese die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den verantwortlichen Suchmaschinenbetreiber zur Löschung anweisen könnten.
Fazit: Unerwartete Entscheidung pro Datenschutz
Einerseits stärkt die Entscheidung des EuGH die Rechte von Privatpersonen auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten, andererseits sind die Interessen der Öffentlichkeit in dem Urteil nur vergleichsweise allgemein und kurz berücksichtigt worden. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit der Meinungs- bzw. Informationsfreiheit der Bürger findet nicht statt.
Stattdessen spricht sich der EuGH grundsätzlich zugunsten des Datenschutzes aus. Aufgrund des Urteils dürften Suchmaschinenbetreiber sich nun darauf einstellen, in Europa künftig mit einer Flut von entsprechenden Löschungsanträgen konfrontiert zu werden.
Der Inhalt des Urteils ist insofern unerwartet, als dass der EU-Generalanwalt Jääskinen zuvor in seinen Schlussanträgen im Jahr 2013 die „Verantwortlichkeit″ von Google sowie ein „Recht auf Vergessenwerden″ im Internet ausdrücklich verneint hat. Die Chancen zugunsten des Betroffenen in dem Verfahren galten daher eigentlich als eher gering.
Der EuGH hat sich der Argumentation des EU-Generalanwaltes in den wesentlichen Punkten nicht angeschlossen, sondern vielmehr das bis dato in der Praxis umstrittene „Recht auf Vergessenwerden″ bejaht.